Tausche Daten gegen kostenlose Dienste! Wer damit fein ist, braucht den Artikel nicht zu lesen. Wem jedoch die eigenen Daten heilig sind, der baut sich vielleicht ein vergleichbares Setup mit freier Software und erhält im Gegenzug die Hoheit über die eigenen Daten zurück. Heute heißt dieses Konzept "digitale Souveränität".
Zugegeben, das ist schon bequem: Browser auf (alternativ App auf dem Smartphone starten), URL öffnen und los geht’s. Solche kostenlosen Dienste wie Hangouts, Skype-Videocalls und Co klappen (meist) einfach und sofort. Fast immer findet man auch seine Gesprächspartner auf Anhieb und die anderen müssen oft nicht einmal extra Software installieren.
Doch so bequem diese Tools auch sind, man bezahlt einen Preis dafür - typischerweise sind das Daten. Wie ich in meinem Post Streng vertraulich dargelegt habe.
Wir leben in unserer Firma das Prinzip: Einsatz und (Weiter-)Entwicklung von freier Open-Source-Software sowie Betrieb derselben auf Server-Infrastruktur in deutschen Rechenzentren. Auch aus diesem Grunde gehen Hangouts und Co also gar nicht.
Es gibt nur eine recht überschaubare Anzahl von Open-Source-Lösungen, die von sich behaupten, für Videokonferenzen zu taugen. Mit dem Auftauchen von WebRTC, einem Standard für Echtzeitkommunikation, kamen plötzlich einige weitere Softwarelösungen dazu. Meist scheiterte bei uns aber der Mischbetrieb von Mac-, Windows- und Linux-Betriebssystemen mit den dazugehörigen Android- und IOS-Smartphones. Wennschon, dennschon.
Remote-Videoconferencing
Die Lösung soll natürlich auch für mehr als zehn gleichzeitige Nutzer stabil funktionieren. Wir sprechen schließlich von Konferenzen.
Ich erspare uns eine lange Liste von Fehlschlägen und stelle hier nur unser aktuelles Setup vor.
- „Hardware”: Virtualisiertes Debian 9.x mit 4 GB RAM bei einem Kern
- Anbindung: 1 GBit
- Software: Jitsi Meet
Das Jitsi-Team (konkret: BlueJimp) wurde vor einiger Zeit von Atlassian eingekauft. Statt Jira setzen wir ja Redmine ein und haben auch einige datenschutztechnische Vorbehalte gegenüber Atlassian, aber hier machen die Kollegen einen ganz guten Job: Die Anwendung entwickelt sich unserer Meinung nach nicht zu einer Mogelpackung und die Software wird gut gepflegt.
Der Mischbetrieb funktioniert. Ab und an müssen wir Chrome gegen Firefox tauschen, damit Bild und Ton lippensynchron funktionieren. Das Phänomen haben wir noch nicht gut durchdrungen. Gute Erfahrung haben wir mit der IOS-App von Atlassian gemacht. Bei Gelegenheit werden wir uns einmal den Code dazu näher ansehen und unsere Build-Skills bei IOS-Apps auffrischen.
Plus: Konferenzraum (in echt jetzt)
Eine Besonderheit war die Anforderung, dass in unserem Büro eine Konferenzraumsituation hergestellt werden sollte. Wir träumten von Lösungen wie der von Sennheiser oder von Polycom. Der Traum scheiterte wie so oft im Leben an der nötigen Investitionssumme.
Aber auch oft im Leben hilft der Zufall auf den richtigen Weg: Ich hatte günstig ein Mackie-Pult für meine musikalischen Ausflüge erstanden, und so war plötzlich ein Tascam-USB-Audio-Interface übrig. Zusammen mit einem Mac-Mini, der an einen 49″-Monitor angeschlossen wurde, und einigen Kabeln mit Røde Mikrofonen hatten wir schnell eine passende und kostengünstige Lösung für unseren Konferenzraum im Büro hergestellt.
Ergänzt um eine überzählige Stereoanlage mit passenden Boxen und der richtigen Verkabelung können wir heute Konferenzen mit unseren verteilten Standorten komplett über freie Software (gehostet im Rechenzentrum mit Standort in Deutschland) halten. Zugegeben, einiges ist Handarbeit. So muss beispielsweise der Konferenzraum stumm geschaltet werden, wenn andere Menschen remote die Gesprächsführung übernehmen. Hässliche Rückkopplungen sind sonst an der Tagesordnung. Auch eine Anleitung, in welcher Reihenfolge welche Komponenten gestartet werden müssen und welches Vorgehen im Falle von Problemen zu empfehlen ist, musste geschrieben werden. Und ja auch gelesen!
Alles in allem hat sich der Anfangsschmerz gelohnt. Heute können wir zwar weder die Hunderte gleichzeitiger Nutzer, die Jitsi in einer Demo anspricht, nachvollziehen, noch können wir behaupten, dass alles immer mit “Los geht’s!” beantwortet werden kann. Aber die Lösung ist zu einem regelmäßigen Begleiter unserer internen Kommunikation geworden.
Diese Zusammenfassung habe ich geschrieben, weil mich Frank Holldorff, ein Kollege aus der Drupal-Community, darum gebeten hat. Für uns gehören Open Source und Wissensweitergabe eng zusammen. Deshalb möge sich nicht nur Frank, sondern mögen sich auch alle anderen herzlich eingeladen fühlen, beim nächsten Besuch die Details zu studieren und unsere Lösung zu kopieren.